Textauszug aus dem Ausstellungskatalog »OTTO MUEHL: LEBEN / KUNST / WERK – Aktion Utopie Malerei 1960-2004«, Walther König, Köln, 2004
AKTIONISMUS UND KUNST
Otto Muehl, 2004
[…]
als die malerei im impressionistischen urknall als steile parabel explodierte, waren plötzlich bedeutende persönlichkeiten zur stelle, die das olympische feuer schürten und weitertrugen.
in mehreren wellen stürmte die avantgarde der malerei nach vorne.
eine kunst entstand, die die jahrhunderte alten, starren, religiösen gewänder abschüttelte, die frei von zwanghaften regeln und vorstellungen die mittel der malerei entdeckte.
cézanne gilt als vater der modernen kunst.
über den impressionismus kam er zur gestaltung der bildfläche.
das bild ist für ihn eine harmonie parallel zur natur.
er bringt vorder- und hintergrund auf die gleiche ebene durch warm und kalt kontraste.
der raum wird als fläche dargestellt.
die impressionistischen kleinen striche und farbpunkte werden durch elementarisierung überwunden. die perspektive wird aufgehoben, indem er z.b. bei einem still-leben einen krug aus verschiedenen blickwinkeln gesehen darstellt, direkt von oben, so daß die öffnung eines kruges als kreis erscheint, und der krug selbst frontal von vorne mit flecken dargestellt wird, damit verhindert cézanne perspektivische raumflucht.
er nagelt sozusagen das bild auf der fläche fest. diese methode erweitert picasso, indem er eine figur sowohl von vorne als von rückwärts gesehen darstellt. ein gesicht wird gleichzeitig von vorne als auch vom profil gesehen.
die zerlegung der bildfläche in elemente, die cézanne noch durch modulation (farbstufungen) verband, führt bei picasso zur zerlegung, zerstückelung und zertrümmerung der figur. ich spreche hier vom analytischen kubismus. wäre picasso diesen weg weitergegangen, hätte er das erste bild, das auf geometrischen formen aufbaut, gefunden. piet mondrian übernahm diese arbeit von picasso.
cézanne wettert immer wieder gegen die umrisslinie, er ist zwar aus dem ei geschlüpft, aber ein rest impression verklebt noch die federn.
picasso stoppte den analytischen destruktionsakt vor der grenzüberschreitung ins niemandsland der gegenstandslosigkeit.
die aus flächen zusammengesetzte synthetische figur, durch eine umrißlinie zusammengehalten, das verbot cézanne’s, der nicht mehr lebte, missachtend, ist gleichzeitig die kantige rasur der bildfläche. picasso liebte die körper-welt.
mondrian, der religiöse esoteriker, presste die körper zu rechtecken und quadraten. auf weißem grund glühten die farben, rot, gelb, blau und schwarz. das grüne haßte er.
vor seinem frühen tod dominieren die farblosen bilder, weiße und schwarze, parallel laufende doppel-linien.
er sagte: “die malerei habe ich zu ende gemalt, das ist das zeichen dafür, daß auch die welt am ende angekommen ist.” er starb.
in wirklichkeit gibt es kein abstraktes bild.
mondrians objekte sind geometrische formen, rechtecke, quadrate, senkrechte und waagerechte linien.
die dynamische schräge vermied er.
seinem freund doesburg kündigte er die freundschaft, als dieser sich erlaubte, auch diagonal zu gestalten.
mondrian war ein fanatischer boogie-tänzer.
den eingang zu seinem atelier zierte eine vase mit einer weißen plastikblume. Gefragt, was es bedeuten sollte, antwortet er, die weiße blume symbolisiere das weibliche, das ersetze das fehlen einer frau.
emotioneller energiestau, als aggression explodiert, produziert das chaos.
der künstler, der im alltag wütet, endet in der klinik.
emotionelle energie, als kunst zur explosion gebracht, produziert das glück der ekstase.
die zypressen zischen hoch, der olivenbaum krümmt sich, die geballte energie als pure aggression zerreisst ihm die gedärme.
van gogh, der heilige, der in den wolken tanzt, sich ins kornfeld schmiedet, in den bauch sich die kugel schießt.
hölle und himmel.
tod und leben.
das hat uns van gogh gegeben.
er hat uns die sonnenblumen geschenkt
und sich an ihnen erhängt,
er tut gerne schnapsen,
aggression zerreisst ihm synapsen.
er legt die hand ins feuer,
er ist ein totales ungeheuer.
statt gin,
trinkt er terpentin.
das hat auch uns angestochen,
er hat den wiener aktionismus verbrochen
und wenn auch alle toben,
er hat uns aus dem grabe gehoben.
oft haben wir vor begeisterung gelacht,
er hat das flächige farbige feuer entfacht.
die komplementär-kontraste jubeln hoch,
aus diesem grunde lebst du noch.
die emotionelle energie steigert sich im aktionistischen, multimedialen mix.
auf der bildfläche wird mit chaos und willkür experimentiert. (im film “otto muehl, multimedialer aktionismus”)
multimedialer aktionismus:
material-, musik-, film-, theater-, tanz-, sing-, selbstdarstellungs-aktion, aktions-malerei, aktions-analyse, die aktionistische gesellschaftsgestaltung.
aktionsmalerei:
das farbige material wurde chaotisch geworfen, gestreut, geschüttet, zerschlagen.
farbe war für van gogh farbiges material.
vincent inspirierte mich, mit material zu experimentieren.
wühlen im farbigen material, im morast, im ungewissen, im puren nichts, ohne etwas zu suchen wird gefunden.
was du findest, bist du selbst.
ich spürte mich zum ersten mal als künstler, ich habe mich gefunden.
im cafe hawelka kam herr hawelka mit dem gästebuch und bat mich, etwas hinein zu zeichnen und zu schreiben; ich schrieb und zeichnete natürlich nicht, ich schüttete farbe in meine hand und schlug damit kräftig ins gästebuch. die farbe spritzte. das war mein signum.
van gogh versuchte in arles, “das atelier des südens”, eine künstlergemeinschaft zu gründen.
vincent scheiterte zwar an der konkurrenz mit gauguin. ausserdem war die zeit nicht reif dafür, van goghs psychischer zustand nicht gefestigt genug, um leute um sich sammeln zu können.
DUCHAMP, DIE STOLPERFALLE
duchamp war ikonoklast.
er malte keine bilder, sondern er reduzierte seine gestaltung auf diagramme seiner ideen, die er allerdings handwerklich, gleich einem architekten, präzise ausführte.
duchamp war philosoph, der seine ideen nicht niederschrieb, sondern zeichnete und gerade dadurch zum erfinder neuer kunstmethoden wurde.
er erfand das “ready-made”, ein begriff, der unglaublich erfolgreich war und weltweit diskutiert wurde und noch diskutiert wird.
ready-made ist das fertig-gemachte oder besser gesagt, das angefertigte ding.
es sind gebrauchsobjekte, die duchamp zur kunst erhob.
er bevorzugte die industrielle massenware und hoffte dadurch, geschmackliches, interessantes, schönes zu vermeiden.
das ready-made, in einen kunstraum versetzt, wird automatisch zur kunst.
das ready-made ist das kuckucksei im fremden nest.
duchamp legte seine eier ins museum und zeugte so den kunsthybriden.
er ist der erfinder der hybridalen, diagrammatischen kunstbegriffe:
objekt- konzept- ideen- installations-art.
den begriff der gestaltung lehnt er als veraltet ab.
er mischt, frech und explosiv, ungehobelte mit gemachter wirklichkeit als gezielten faustschlag gegen den “gesunden” menschenverstand des “normal-bürgers”.
marcel liebt als koch nicht die herdbeschmutzung, er mixt die fertig-speisen fremder küchen zur explosiven collage. befragt anwortete marcel: “gerade das fremd-gekochte schmeckt nach ready-made… übrigens meine lieblingsspeise!” fügte er lächelnd hinzu.
einer im besitz solch gefasster, leichtfüssiger ironie kann als künstler hoffen, auch das folgende jahrhundert durchzustehen.
man wird sich vermutlich noch 2 jahrhunderte darüber amüsieren.
die scheinbare oberflächlichkeit marcel duchamps ist gespielt.
mister duchamp, ich habe das gefühl, sie könnten wie jeder künstler, der sich durch die gesellschaft zwingen lässt, wie ein normal-bürger zu leben, in wirklichkeit eine tragische figur sein, die vergeblich darauf hofft, in die unsterblichkeit einzurücken, denn es ist wohl klar, daß die nächsten jahrhunderte nur jenen offen stehen werden, die die fähigkeit besitzen, ohne viel aufhebens, direkt, multilateral in allen gebieten der kunst, die sexualität nicht ausgeschlossen, zu gestalten.
bei marcel bleibt apfel apfel, ei bleibt ei.
direkte destruktion wäre selbstbeschmutzung.
die banalität seiner objekte ist nicht zu überbieten, er geht dort spazieren, wo ein baum ihn erschlagen könnte. schwarzkogler experimentierte bereits als kind mit flugversuchen, er hatte den spitznamen ikarus.
[…]
in mehreren wellen stürmte die avantgarde der malerei nach vorne.
eine kunst entstand, die die jahrhunderte alten, starren, religiösen gewänder abschüttelte, die frei von zwanghaften regeln und vorstellungen die mittel der malerei entdeckte.
cézanne gilt als vater der modernen kunst.
über den impressionismus kam er zur gestaltung der bildfläche.
das bild ist für ihn eine harmonie parallel zur natur.
er bringt vorder- und hintergrund auf die gleiche ebene durch warm und kalt kontraste.
der raum wird als fläche dargestellt.
die impressionistischen kleinen striche und farbpunkte werden durch elementarisierung überwunden. die perspektive wird aufgehoben, indem er z.b. bei einem still-leben einen krug aus verschiedenen blickwinkeln gesehen darstellt, direkt von oben, so daß die öffnung eines kruges als kreis erscheint, und der krug selbst frontal von vorne mit flecken dargestellt wird, damit verhindert cézanne perspektivische raumflucht.
er nagelt sozusagen das bild auf der fläche fest. diese methode erweitert picasso, indem er eine figur sowohl von vorne als von rückwärts gesehen darstellt. ein gesicht wird gleichzeitig von vorne als auch vom profil gesehen.
die zerlegung der bildfläche in elemente, die cézanne noch durch modulation (farbstufungen) verband, führt bei picasso zur zerlegung, zerstückelung und zertrümmerung der figur. ich spreche hier vom analytischen kubismus. wäre picasso diesen weg weitergegangen, hätte er das erste bild, das auf geometrischen formen aufbaut, gefunden. piet mondrian übernahm diese arbeit von picasso.
cézanne wettert immer wieder gegen die umrisslinie, er ist zwar aus dem ei geschlüpft, aber ein rest impression verklebt noch die federn.
picasso stoppte den analytischen destruktionsakt vor der grenzüberschreitung ins niemandsland der gegenstandslosigkeit.
die aus flächen zusammengesetzte synthetische figur, durch eine umrißlinie zusammengehalten, das verbot cézanne’s, der nicht mehr lebte, missachtend, ist gleichzeitig die kantige rasur der bildfläche. picasso liebte die körper-welt.
mondrian, der religiöse esoteriker, presste die körper zu rechtecken und quadraten. auf weißem grund glühten die farben, rot, gelb, blau und schwarz. das grüne haßte er.
vor seinem frühen tod dominieren die farblosen bilder, weiße und schwarze, parallel laufende doppel-linien.
er sagte: “die malerei habe ich zu ende gemalt, das ist das zeichen dafür, daß auch die welt am ende angekommen ist.” er starb.
in wirklichkeit gibt es kein abstraktes bild.
mondrians objekte sind geometrische formen, rechtecke, quadrate, senkrechte und waagerechte linien.
die dynamische schräge vermied er.
seinem freund doesburg kündigte er die freundschaft, als dieser sich erlaubte, auch diagonal zu gestalten.
mondrian war ein fanatischer boogie-tänzer.
den eingang zu seinem atelier zierte eine vase mit einer weißen plastikblume. Gefragt, was es bedeuten sollte, antwortet er, die weiße blume symbolisiere das weibliche, das ersetze das fehlen einer frau.
emotioneller energiestau, als aggression explodiert, produziert das chaos.
der künstler, der im alltag wütet, endet in der klinik.
emotionelle energie, als kunst zur explosion gebracht, produziert das glück der ekstase.
die zypressen zischen hoch, der olivenbaum krümmt sich, die geballte energie als pure aggression zerreisst ihm die gedärme.
van gogh, der heilige, der in den wolken tanzt, sich ins kornfeld schmiedet, in den bauch sich die kugel schießt.
hölle und himmel.
tod und leben.
das hat uns van gogh gegeben.
er hat uns die sonnenblumen geschenkt
und sich an ihnen erhängt,
er tut gerne schnapsen,
aggression zerreisst ihm synapsen.
er legt die hand ins feuer,
er ist ein totales ungeheuer.
statt gin,
trinkt er terpentin.
das hat auch uns angestochen,
er hat den wiener aktionismus verbrochen
und wenn auch alle toben,
er hat uns aus dem grabe gehoben.
oft haben wir vor begeisterung gelacht,
er hat das flächige farbige feuer entfacht.
die komplementär-kontraste jubeln hoch,
aus diesem grunde lebst du noch.
die emotionelle energie steigert sich im aktionistischen, multimedialen mix.
auf der bildfläche wird mit chaos und willkür experimentiert. (im film “otto muehl, multimedialer aktionismus”)
multimedialer aktionismus:
material-, musik-, film-, theater-, tanz-, sing-, selbstdarstellungs-aktion, aktions-malerei, aktions-analyse, die aktionistische gesellschaftsgestaltung.
aktionsmalerei:
das farbige material wurde chaotisch geworfen, gestreut, geschüttet, zerschlagen.
farbe war für van gogh farbiges material.
vincent inspirierte mich, mit material zu experimentieren.
wühlen im farbigen material, im morast, im ungewissen, im puren nichts, ohne etwas zu suchen wird gefunden.
was du findest, bist du selbst.
ich spürte mich zum ersten mal als künstler, ich habe mich gefunden.
im cafe hawelka kam herr hawelka mit dem gästebuch und bat mich, etwas hinein zu zeichnen und zu schreiben; ich schrieb und zeichnete natürlich nicht, ich schüttete farbe in meine hand und schlug damit kräftig ins gästebuch. die farbe spritzte. das war mein signum.
van gogh versuchte in arles, “das atelier des südens”, eine künstlergemeinschaft zu gründen.
vincent scheiterte zwar an der konkurrenz mit gauguin. ausserdem war die zeit nicht reif dafür, van goghs psychischer zustand nicht gefestigt genug, um leute um sich sammeln zu können.
DUCHAMP, DIE STOLPERFALLE
duchamp war ikonoklast.
er malte keine bilder, sondern er reduzierte seine gestaltung auf diagramme seiner ideen, die er allerdings handwerklich, gleich einem architekten, präzise ausführte.
duchamp war philosoph, der seine ideen nicht niederschrieb, sondern zeichnete und gerade dadurch zum erfinder neuer kunstmethoden wurde.
er erfand das “ready-made”, ein begriff, der unglaublich erfolgreich war und weltweit diskutiert wurde und noch diskutiert wird.
ready-made ist das fertig-gemachte oder besser gesagt, das angefertigte ding.
es sind gebrauchsobjekte, die duchamp zur kunst erhob.
er bevorzugte die industrielle massenware und hoffte dadurch, geschmackliches, interessantes, schönes zu vermeiden.
das ready-made, in einen kunstraum versetzt, wird automatisch zur kunst.
das ready-made ist das kuckucksei im fremden nest.
duchamp legte seine eier ins museum und zeugte so den kunsthybriden.
er ist der erfinder der hybridalen, diagrammatischen kunstbegriffe:
objekt- konzept- ideen- installations-art.
den begriff der gestaltung lehnt er als veraltet ab.
er mischt, frech und explosiv, ungehobelte mit gemachter wirklichkeit als gezielten faustschlag gegen den “gesunden” menschenverstand des “normal-bürgers”.
marcel liebt als koch nicht die herdbeschmutzung, er mixt die fertig-speisen fremder küchen zur explosiven collage. befragt anwortete marcel: “gerade das fremd-gekochte schmeckt nach ready-made… übrigens meine lieblingsspeise!” fügte er lächelnd hinzu.
einer im besitz solch gefasster, leichtfüssiger ironie kann als künstler hoffen, auch das folgende jahrhundert durchzustehen.
man wird sich vermutlich noch 2 jahrhunderte darüber amüsieren.
die scheinbare oberflächlichkeit marcel duchamps ist gespielt.
mister duchamp, ich habe das gefühl, sie könnten wie jeder künstler, der sich durch die gesellschaft zwingen lässt, wie ein normal-bürger zu leben, in wirklichkeit eine tragische figur sein, die vergeblich darauf hofft, in die unsterblichkeit einzurücken, denn es ist wohl klar, daß die nächsten jahrhunderte nur jenen offen stehen werden, die die fähigkeit besitzen, ohne viel aufhebens, direkt, multilateral in allen gebieten der kunst, die sexualität nicht ausgeschlossen, zu gestalten.
bei marcel bleibt apfel apfel, ei bleibt ei.
direkte destruktion wäre selbstbeschmutzung.
die banalität seiner objekte ist nicht zu überbieten, er geht dort spazieren, wo ein baum ihn erschlagen könnte. schwarzkogler experimentierte bereits als kind mit flugversuchen, er hatte den spitznamen ikarus.
[…]